Das Wort ‚Trauma‘ ist in aller Munde. Leben wir in einer traumatisierten Welt oder wird dieser Begriff einfach viel zu pauschal verwendet für alle frustrierenden oder unangenehmen Erlebnisse? Dieses Thema haben wir in letzter Zeit mit vielen FreundInnen und diversen Partnerorganisationen aus dem Gesundheitssektor kontrovers diskutiert. Um das Wesentliche vorwegzunehmen: Ja! Trauma ist omnipräsent. Nein! Individuelle Therapie genügt nicht.

 

Anlass für meine gegenwärtigen Gedanken war ein Gespräch mit einer vierzig-jährigen Klientin, die eine Trennung von ihrem  Partner verkraften musste, der durch eine heftige, persönliche Krise geschüttelt wurde. Durch die Jahre hat sich bei ihm eine Kindheitserinnerung verdichtet, die Panikattacken und Angstzustände auslöste und so das Familienleben an die Belastungsgrenzen brachte. Er erinnerte sich an mehrere Szenen aus der Kindheit, bei denen er Zeuge war, wie seine Mutter durch seinen Vater brutal vergewaltigt wurde. Seine sog. traumatischen Belastungsstörungen zeigten sich durch ein sehr misstrauisches, besitzergreifendes Verhalten, unkontrollierte Gewaltausbrüche seiner Partnerin gegenüber. Er kontrollierte alle ihre sozialen Beziehungen, machte ihr haltlose Vorwürfe und beklagte sich über depressive Verstimmungen. Er suchte temporär Hilfe in einer psychiatrischen Klinik und lebt jetzt getrennt von Partnerin und Kind . Es finden Gespräche zwischen der Partnerin und der behandelnden Familientherapeutin statt, die sich aber als hoffnungslos überfordert zeigt, weil sie keine Trauma-spezifischen Therapieansätze zu beherrschen scheint.

Was mich immer wieder bestürzt, ist die Tatsache, dass durch Gewalterfahrung traumatisierte Menschen persönlich sehr leidvolle Erfahrungen machen und oft nicht mehr in der Lage sind, harmonische Beziehungen zu ihren Nächsten zu unterhalten. Dies wiederum bewirkt, dass das Leid transgenerational weitergegeben wird, indem deren ParterInnen und Kinder wieder neues Leid erfahren, dass sie womöglich, wenn es nicht in irgend einer Form geheilt werden kann, wieder an ihre Nächsten weitergeben. Eine häufige Quelle von Trauma ist die häusliche Gewalt, die auch bei uns in der Schweiz  sehr verbreitet ist. So erfährt jede 4. Frau und jeder 6. Mann sexuelle, physische und psychische Gewalt von den nächsten Bezugspersonen. Das 90% der Gewalttäter männlich sind, zeigt, das unsere kulturell geprägten Bilder von Männlichkeit auch nicht eben hilfreich sind, wenn es darum geht, Gewalt in unserer Gesellschaft zu reduzieren.

Zusätzlich zu den Opfern von häuslicher Gewalt reihen sich noch eine ganze Anzahl anders gelagerter Trauma-Opfer, die Gewalt durch Naturkatastrophen, Kriege, Hungersnöte, politische Wirren usw. erfahren. Wir dürfen zudem nicht vergessen, dass wir im letzten Jahrhundert zwei Weltkriege zu verkraften hatten, die unsere Mütter, Väter, Grossmütter und Grossväter zum Teil in schwerster Weise traumatisiert haben und damit die folgenden Generationen durch das Fehlen von liebenden Eltern, harmonischem Aufwachsen, fragmentiertem Wahrnehmen von Leben und Beziehungen, nachhaltig geschädigt haben. Täglich sehen wir in den Medien, wie Menschen aus Nordafrika und dem Nahen Osten Zuflucht bei uns suchen, weil sie durch Bürgerkriege und Anderem von ihrer Heimat vertrieben worden sind. Auch sie sind gezeichnet durch ihre Gewalterfahrungen und brauchen Heilung, um den Teufelskreis der Gewalt zumindest gegenüber ihren Nächsten durchbrechen zu können. Es ist zu befürchten, dass sich die Zahl aller Trauma-Betroffenen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch vermehrfachen wird. Wenn wir uns den therapeutischen Aufwand vergegenwärtigen, den es braucht, um all diese Individuen aus den erlittenen posttraumatischen Belastungsstörungen zu befreien , frage ich mich, wie wir das überhaupt angesichts der beschränkten Ressourcen schaffen könnten. Durch individuelle Therapieprogramme, wenn denn auch genügend dazu ausgebildete TherapeutInnen, vorhanden wären, ist diesem wachsenden Phänomen nicht mehr beizukommen.

Überhaupt realisieren wir, wie verletzlich wir Menschen letztlich sind, dass es ein Glück darstellt, wenn wir unversehrt aufwachsen und uns in der Gesellschaft harmonisch einfinden können. Gleichzeitig sind wir aber auch sog. resilient und können auf innere und äussere Ressourcen zurückgreifen, die uns helfen, trotz dysfunktionaler Umstände gesund zu bleiben.

Wir haben ein vitales Interesse daran, traumatisierten Menschen und deren Opfern zu helfen, wenn wir die Gewalt in unserer Gesellschaft und für künftige Generationen reduzieren wollen. Vielleicht hängt sogar das Überleben auf unserem Planet Erde für uns und andere Lebewesen davon ab, wie es uns gelingt, mit dieser enormen Herausforderung umzugehen.

Viele flüchten sich in sektenähnliche Bewegungen, die ihnen Heil und Liebe versprechen. Dabei ist aber nicht zu übersehen, dass viele dieser Bewegungen neue Gewalt und neues Unheil unter ihre Jünger bringen. Viele Fachleute realisieren, dass Heilung nicht individuell sondern kollektiv erfolgen muss, aber wie, das ist die grosse Frage.

Wie kann man Trauma kollektiv überwinden, als Gesellschaft, als Ethnie, als Familie, als Generation, als Organisation? Diese Fragen beschäftigen uns seit geraumer Zeit und wir versuchen mit methodischen Ansätzen aus der Systemtheorie, der Friedensarbeit, relationalen Beziehungsgestaltung usw. Rituale und Trainingseinheiten zu entwickeln, die es erlauben, traumatische Erlebnisse auszutauschen und gemeinsam gestärkt und geläutert daraus hervorzugehen. Joanna Macy hat einmal treffend bemerkt, dass wir viel zu viel Energie und Zeit dafür verwenden, unseren Schmerz vor anderen zu verstecken. Stattdessen wäre es einfacher, ihn mit anderen zu teilen und dabei zu merken, dass wir nicht alleine sind und dass wir voneinander lernen und von den Erfahrungen anderer wachsen und heilen können. Marshall Rosenberg, der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation, verglich die aktuelle Situation mit einem Fluss, auf dem ertrinkende Babies stromabwärts schwimmen.  Er pflegte in seinen Seminaren zu sagen: ‚Um gesellschaftlichen Wandel zu erzielen, reicht es nicht, all die in Not geratenen Babies zu retten. Es braucht auch Menschen die stromaufwärts gehen und die Ursachen dieser Katastrophe angehen, herausfinden, wer die Babies in den Fluss wirft, und wie wir das stoppen können.‘

Im Rahmen unseres Lehrgangs ‚Empathische Coaching‘ vereinen wir die Ansätze von Marshall Rosenberg, Joanna Macy u.a. mit weiteren Quellen der Inspiration und Eigenentwicklungen und machen diese Inhalte erfahr- und anwendbar für Interessierte. Wir sind überzeugt, dass wir für Menschen, die mit Menschen arbeiten, neue Ansätze und Anregungen entwickelt haben, die sie bei ihrer fordernden Arbeit in vielerlei Hinsicht unterstützen.

Der nächste Lehrgang startet am 26. Februar 2014 in Rüti ZH. Weitere Informationen sind  hier zu finden:

Ausschreibung EmpCo 2014

Was ist Trauma? Hier ein Wikipeia-Link zum besseren Verstandnis:

Als psychologisches, seelisches oder mentales Trauma oder Psychotrauma (Plural Traumata, Traumen; griechisch Wunde) wird in der Psychologie eine seelische Verletzung bezeichnet. Das Wort Trauma kommt aus dem Griechischen und bedeutet allgemein Verletzung, ohne dabei eine Festlegung zu treffen, wodurch diese hervorgerufen wurde. In der Medizin wird mit dem Begriff Trauma (Medizin) eine Verwundung bezeichnet, welche durch einen Unfall oder eine Gewalteinwirkung hervorgerufen wurde. Analog hierzu bezeichnet man in der Psychologie eine starke psychische Erschütterung, welche durch ein traumatisierendes Erlebnis hervorgerufen wurde, als Psychotrauma. Der Begriff wird nicht einheitlich verwendet und kann sowohl das auslösende Ereignis, aber auch die Symptome oder das hervorgerufene innere Leiden bezeichnen.

Traumatisierende Ereignisse können beispielsweise Naturkatastrophen, Geiselnahme, Vergewaltigung oder Unfälle mit drohenden ernsthaften Verletzungen sein.[1] Diese Ereignisse können in einem Menschen extremen Stress auslösen und Gefühle der Hilflosigkeit oder des Entsetzens erzeugen. Die hierdurch im Menschen hervorgerufene Angst- und Stressspannung kann bei der Mehrzahl der Betroffenen wieder von alleine abklingen. In besonderen Fällen jedoch, wenn diese erhöhte Stressspannung über längere Zeit bestehen bleibt und es keine Möglichkeit gibt, die Erlebnisse adäquat zu verarbeiten, kann es zur Ausbildung von teils intensiven psychischen Symptomen kommen. Bei etwa einem Drittel der Betroffenen kommt somit zu der schmerzlichen Erinnerung noch ein psychisches Krankheitsbild hinzu, welches zusätzliches Leid verursacht. Das bekannteste dieser Krankheitsbilder ist die sogenannteposttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Aber auch andere Krankheitsbilder können nach Traumatisierungen auftreten.

In der Alltagssprache kam es zu einer inflationären Verwendung des Begriffes, und häufig wird der Begriff des Traumas in Zusammenhang mit allen besonders negativen oder leidvollen Erfahrungen verwendet. In der medizinischen oder psychologischen Fachliteratur ist dieser Begriff jedoch wesentlich enger gefasst und bezieht sich ausschließlich auf Ereignisse, die psychische Folgestörungen auslösen könnten.

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